Eine Liebeserklärung an den Bayerischen Wald


Als Kind habe ich den Bayerischen Wald geliebt. Ich bin in den Wald gegangen, auf der Suche nach besonderen Plätzen und Orten, an denen ich spielen und mich verstecken konnte. Als Jugendliche übte diese Abgeschiedenheit keinen Reiz mehr auf mich aus. Ich wollte hinaus in die große, weite Welt und etwas erleben. Als ich das Buch meiner Mutter gelesen habe, wurde mir klar, wie sehr ich ein Mensch geworden war, der nicht mehr viel von dem sieht, was um einen herum passiert. Die Schönheit des Bayerischen Waldes wurde unsichtbar und uninteressant. Manchmal muss man eben auf bereits bestehende Sachen wieder hingewiesen werden – damit sie wieder etwas Besonderes werden.

Also egal, ob sie seit Jahren hier wohnen, erst vor kurzem hierher gezogen sind oder nur für einen Besuch da sind: Dieses Buch wird ihnen die Augen für die Schönheit des Bayerischen Waldes öffnen.

Hanna Turowski

Wildnis – Der erste Nationalpark

Wildnis ist also eine Denkweise. Wildnis ist die Lust, den Garten Eden nicht zu mähen, sondern gelassen auf das Paradies zu warten, Wildnis ist Träumen statt Aufräumen, ist das Gespräch mit der Natur statt über die Natur.

Hubert Weinzierl

Vierzig Jahre ist es her als Naturschützer aus Bayern, Böhmen und Österreich auf dem Dreisesselberg die Vision von einem Nationalpark im Herzen Mitteleuropas hatten. Was 1966 als Traum begann, wurde zum Wegweiser und Vorbild für vierzehn deutsche Nationalparks, die mittlerweile mehr als bloße Naturschutzgebiete geworden sind. Sie sind längst zu Seelenschutzgebieten für uns Menschen und die Schatzkammern unserer Heimat geworden, schreibt einer der Mitbegünder des Nationalparks Hubert Weinzierl in „Waldwildnis grenzenlos“. Mittlerweile sind es fünfzig Jahre her, dass der Nationalpark 1970 gegründet worden ist. Seine Politik des nicht Eingreifens und die – Natur Natur sein lassen – trotz immer wieder heftiger Kritik, Wurzeln schlägt und Blüten treibt.

Das liegt vor allem daran, dass es immer wieder Menschen gibt, die sich vom landläufigen Zeitgeist nicht verführen, nicht beirren lassen, die den Mut haben ihren Gefühlen zu folgen, andere Wege zu gehen und sich für diese einzusetzen: Pioniere, die der Angst, der Schwarzmalerei keinen Raum lassen. Die das Spiel der Natur verstehen, ihren Wert erkennen und bereit sind für die Natur, die Wildnis und letztendlich auch für den Menschen selbst zu kämpfen. Menschen, die erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben. Denn Naturschutz, so sagt Hubert Weinzierl, ist einfach und hat immer auch mit Liebe zu tun. Doch die moderne Industriegesellschaft hat den Verstand vom Herzen, von der Seele abgekoppelt, ist der Illusion erlegen, Liebe sei etwas für Schwächlinge. Hat sie auf ihrer Suche nach Profit und Reichtum vergessen wirklich zu leben.

Es braucht Mut, viel Mut, zu spüren was zu tun ist. Sich nicht von Sturm, Borkenkäfer und dem Geschrei der Menschen den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen. Darauf zu vertrauen, dass die Natur ihren Weg gehen wird, wie sie ihn schon immer gegangen ist. Dass der Weg -Natur Natur sein lassen – ein wertvolles Gut in unserer heutigen Zeit ist. Dass wir solche Oasen der Wildnis brauchen, nicht nur für die Natur, sondern gerade auch für uns Menschen. Damit wir wieder lernen, die Wildnis in uns zuzulassen, wieder lernen zu spüren und zu fühlen. Verstehen was wirklich wichtig ist in unserem Leben: Erkennen welche Kraft die Natur schenkt, wie wichtig es ist mit Bäumen zu reden und Schmetterlinge zu lieben. Denn wir sind ein Teil dieser Natur und nur wenn wir ihr diesen Raum geben in unserem Leben, dann können wir auch uns selbst, unserer eigenen Natur wieder mehr Raum geben. Erst dann können wir glücklich und zufrieden leben und vor allen Dingen miteinander, leben!

Einer der höchsten Erhebungen im Nationalpark Bayerischer Wald ist neben den beiden Rachelgipfeln, der Lusen mit 1373m Höhe. Er gehört mit seinem imposanten Blockmeer zu einem der markantesten Gipfel im Bayerischen Wald. Von allen Bergen hat er mich bis jetzt am meisten begeistert. Vielleicht auch, weil ich so lange gebraucht habe um ihn zu besteigen. Bei fast tropischer Hitze bin ich im Hochsommer mit einer Freundin los gezogen, haben wir die Himmelsleiter – wie der Aufstieg über den Sommerweg auch genannt wird – erklommen. Wenn sie mich nicht besucht hätte und wir nicht schon im Frühjahr diesen Wandertrip ausgemacht hätten, wer weiß, ob es mir alleine gelungen wäre. Denn es war eigentlich ein Tag um ins Schwimmbad zu gehen und nicht um zu wandern. Doch das hatte den Vorteil, dass nicht so viele Leute auf eine ähnliche Idee kamen wie wir. Denn in der Hauptsaison gleicht der zweit höchste Gipfel des Nationalparks eher einem Rummelplatz. Da stehen die Leute an der Himmelsleiter an, um sie zu erklimmen; doch noch war es Ende Juli, der Tag wie gesagt viel zu heiß zum Wandern. Geht man den Weg von der Ortsschaft Waldhäuser durch die Teufelsschlucht hindurch, hat man eigentlich schon die Nase voll, bevor man den Gipfel überhaupt zu Gesicht bekommt. Zumindest bei diesem Wetter war dieser Weg schon eine Herausforderung. Hier wandert man über Stock und Stein, das typische Granitblockmeer ist hier genauso zu finden wie auf dem Lusen.

Zwischendurch gibt es noch einmal eine kleine Erholung auf leicht ansteigenden Forstwegen, die jedoch kaum Schatten bieten. Von der kühlen Waldluft ist nichts zu spüren, denn man wandert in den Waldgebieten, die vor etlichen Jahren durch Sturm und Borkenkäfer völlig zerstört worden sind. Die Politik des Nationalparks ist hier immer noch umstritten: Die einen wünschen sich einen Eingriff, sehen nur die zerstörte Natur, die anderen freuen sich über das, was neu entsteht und entstanden ist. Wer im Tod nur das Ende sieht, einen Abschluss, für den sind in der Tat die abgestorbenen Bäume ein Schock, eine unerwünschte Baumwüste. Doch wer im Tod auch den Neuanfang, das Ende auch immer wieder als Chance betrachtet, etwas Altes hinter sich zu lassen und etwas Neues zu beginnen, der wird begeistert sein von dem Bild welches sich ihm hier bietet. Jeder Künstler, jeder Fotograf müsste eigentlich in laute Jubelrufe ausbrechen, wenn er hierherkommt und die Motivvielfalt entdeckt.

Wir hatten das Glück, dass der Himmel ein Einsehen mit uns hatte und uns immer wieder einmal kleine Wolken brachte, die die Hitze etwas erträglicher machten und zugleich wunderschöne Lichtstimmungen hervorzauberten, so dass es möglich war, trotz der nicht optimalen fotografischen Bedingungen, zu fotografieren. Meine Freundin stürmte vorneweg und rief plötzlich: „Ich sehe den Gipfel schon“. Was für sie ein Ansporn war, war für mich eher ein Grund zu stöhnen. Im Gegensatz zu ihr bin ich hier im Bayerischen Wald zuhause, kenne die Berge hier mit ihren Tücken. Und ich sah, was uns im wahrsten Sinn des Wortes erwartete: die Himmelsleiter. Nicht umsonst hat dieses Bergstück diesen Namen! Hätte es einen Weg gegeben, der direkt zur Lusenschützhütte geführt hätte, ich hätte ihn in diesem Moment ohne zögern genommen. Aber den gab es nicht!

Doch wie gesagt, der Himmel hatte ein einsehen, und mein fotografischer Blick war erst einmal geweckt. Meine Freundin, die weiß was das heißt, wenn ich meinen Fotoapparat zücke, zog alleine weiter. Ich jedoch konnte nur staunen und fotografieren. Der Blick am Fuße des Lusens ist unvergleichlich. Man kann sehen so weit das Auge reicht. Jetzt erwachten die Lebensgeister wieder in mir. Vor dem Gipfel aufgeben – kommt überhaupt nicht in Frage. Wenn ich schon einmal so weit gekommen bin, dann gehe ich auch weiter, aber in meinem Tempo, in der Zeit, die ich dafür brauche.

Meine Freundin hatte schon längst den Gipfel erklommen, da saß ich noch am Fuße des Steinmeeres und fotografierte. Ich genoss das Spiel von Licht und Schatten zwischen den alten Baumstümpfen und dem wieder erwachenden Wald. An dieser Aussicht konnte ich mich gar nicht sattsehen, obwohl ich noch gar nicht oben war. Der Fotoapparat klickte unaufhörlich. Immer wieder stieg ich ein Stück höher, suchte den Weg zwischen den Steinen, der mehr als nur anspruchsvoll ist. Das letzte Stück ist schon fast eine Klettertour. Immer wieder hielt ich inne, fotografierte und genoss den Blick. Mit Leichtigkeit erklomm ich den Gipfel, nahm Meter um Meter ohne es überhaupt zu bemerken. Alle Müdigkeit war verschwunden. Ich genoss diesen Aufstieg, dieses Schauspiel von Licht und Schatten und fragte mich, wie langweilig das alles gewesen wäre, wenn hier nur grüner Fichtenwald als Kulisse stände.

Wie es früher wohl gewesen ist und wie es heute oft noch in den tieferen Regionen des Bayerischen Waldes vorkommt. Dort, wo man erst durch dichte und dunkle Wälder wandern muss, bis man endlich die Höhen erreicht, auf denen man über diesen Wald blicken kann.

Wenn man den Gipfel erreicht hat, sind die Ausblicke atemberaubend. Bei Fön, wenn man am Horizont, die Alpen, das Dachsteingebirge sieht, ist das Ganze noch faszinierender. Dieses Gefühl, oben auf dem Gipfel zu stehen, den Blick schweifen zu lassen, so weit das Auge reicht, den Aufstieg hinter sich zu haben, kann man nur mit Freiheit, grenzenloser Freiheit, beschreiben. Dieses Spiel von Licht und Schatten, zwischen den abgestorben und neu aufkommenden Bäumen, welches an die Baumsavannen Afrikas erinnert, verstärkt diesen Eindruck. Aber auch Ehrfurcht erfasst einen vor dieser Kulisse, dieser Weite. Man ist dankbar für das was einen umgibt, diese Natur, dieses wunderbare Stückchen Erde auf der wir leben. Noch nirgendwo sonst habe ich so ein Gefühl von Freiheit und Dankbarkeit gespürt wie hier oben auf dem Lusen. Was mir zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht bewusst war, dass dieser Moment zu diesen besonderen Momenten im Leben gehört, die man nie vergisst. Die man sich bewahren kann, die man im Herzen behalten kann und die einen dann stärken, wenn es einmal nicht so gut läuft.

Doch noch etwas anderes sollte ich erfahren: Dass es solche Momente immer wieder gibt, wenn man den Lusen erklimmt und den Weg über die Himmelsleiter nimmt. Und es sollte nicht lange dauern, da zog es mich wieder zum Lusen.

Im Herbst wollte ich ihn noch einmal sehen, den Gipfel erklimmen. Es war einer der letzten schönen Tage im Oktober und abends zum Sonnenuntergang wollte ich auf dem Berg sein. Das hatte ich mir nach dem Besuch im Sommer fest vorgenommen. Den ganzen Herbst hatte ich daran gedacht, es jedoch nie geschafft, weil immer etwas anderes dazwischen gekommen war, die Zeit fehlte. Doch langsam wurde es knapp, bevor die Tage noch kürzer wurden, es abends immer früher dunkel wurde. Ich hatte mir den Tag an Vollmond ausgesucht.

Dachte mir, gleichzeitig den Sonnenuntergang auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Aufgang des Mondes zu sehen, müsste faszinierend sein. Und ich hoffte auf gute Fotos. Der Aufstieg über die Himmelsleiter ist nicht leicht, das wusste ich noch vom Sommer und doch liebe ich ihn. Und wieder einmal wurde mir klar, dass das nicht für alle Menschen gilt, als ich doch tatsächlich einem Menschen Platz machen musste, der diesen Aufstieg als Joggingroute nutzte. So unterschiedlich sind die Empfindungen. Aber vielleicht liegt es auch an meinem Blick, der hier und da etwas entdeckt, der mich nur langsam vorwärtskommen lässt: Die abgestorbenen Fichten, die verfärbten Heidelbeeren, die in der letzten Strahlen der Abendsonne richtig anfangen zu glühen, hier ein Stein und dort eine Wurzel. Es sind Bilder, die man nie vergisst, die in Erinnerung bleiben. Es sind kurze Momente, aber Momente voller Stauen und Begeisterung. Meistens weiß ich dann nicht, was ich zuerst fotografieren soll, so schön sind die Motive, die sich zeigen. Wenn ich solche Augenblicke aber wirklich genießen will, dann lasse ich oft auch den Fotoapparat zuhause. Dann setzte ich mich irgendwo auf einen Stein oder lehne mich an einen Baum und sauge das Ganze in mich auf. Es sind eben solche Erinnerungen, die wenn man sie einmal gesehen, einmal gefühlt hat, immer wieder da sind, die man hervorholen kann wie die Bilder in einem Fotoalbum.

Endlich oben, fast schon zu spät, denn der Mond ging schon über einem Nebelmeer in Tschechien auf, wird man belohnt. Man könnte wirklich meinen, man ist im Himmel angekommen. Wie ist es möglich, dass nur eine kleine Bergkuppe aus dem Nebel über Tschechien schaut und genau über dieser schiebt sich der runde, leuchtende Mond nach oben. So etwas kann man nicht inszenieren! Das sind Geschenke! Und dieses satte gelb-orange hat der Mond auch nur wenn er aufgeht, wenn er sich über den Horizont schiebt. Neben mir steht ein anderer Fotograf, der auch begeistert seine Fotos schießt. Diese Freude, diesen gigantischen Anblick muss man teilen. So kommen wir ins Gespräch und er erzählt, dass er gestern auch schon hier oben war. Da gab es keinen Nebel, keinen so spektakulären Mondaufgang wie heute. Glück muss man haben, denn eigentlich wollte ich schon gestern kommen, aber etwas unvorhergesehenes kam dazwischen. Neben uns stehen zwei kleine Jungen, richtige Lausbuben, die genauso begeistert sind wie wir. Und mir kommt der Gedanke, dass es in hundert Jahren wohl noch genauso ist: Dass die Kinder dieses Schauspiel, dieses in der Dämmerung mal eben auf den Berg kraxeln und den Mond begrüßen, genauso begeistern wird. Man muss nur die Möglichkeit dazu haben.

Eine Pflanze, die ihre Möglichkeiten nutzt und in den abgestorbenen Wäldern zuhause ist, ist das Waldweidenröschen (Epilobium angustifolium). Es kommt in den Höhenlagen des Bayerischen Waldes in Massen vor. Dort wo Sturm und Borkenkäfer ihr Unwesen getrieben haben und großflächige Kahlschläge entstanden sind, blüht es Ende Juli, Anfang August in teilweise riesigen rosa Feldern.

Das Weidenröschen ist eine typische Pionierpflanze. Das, was an anderen Orten der Fingerhut ist, ist hier im Bayerischen Wald das Weidenröschen. An Stellen, an denen der Wald durch Sturm oder Schädlingsbefall weicht, es offene Flächen gibt, besiedelt es in kurzer Zeit durch seine große Samenproduktion die frei gewordenen Hänge. Ist der Wald dann wieder auf dem Vormarsch, wird ihm das Licht zu knapp und es verschwindet wieder. Das Waldweidenröschen oder Schmalblättriges Weidenröschen, wie es aufgrund seiner schmalen, weidenartigen Blätter noch genannt wird, ist eines von den etwa 20 Weidenröschenarten, die in Europa vorkommen. Man nennt es auch Brandkraut, Feuerkraut oder Feuerblume, da es besonders nach Waldbränden flächendeckend aufritt oder aber hier bei uns nach dem Absterben des Waldes durch den Borkenkäfer. In der Tat sehen die roten Blütenkerzen selber wie lodernde Flammen aus. Die Wärme und lichtliebende Pflanzen ist aufgrund ihrer Fruchtstände, die, wenn die Schoten aufplatzen eine Vielzahl von Samen mit gefiederten Anhängseln freigeben, wie gesagt, schnell in der Lage große Flächen zu besiedeln.

Das Weidenröschen gehört zur Familie der Nachtkerzengewächse und ist ebenfalls wie seine gelbe Schwester, die Nachtkerze, eine essbare Wildpflanze. Die getrockneten Blätter verwendet man zum Beispiel als Schwarzteeersatz. Blüten und Blütenknospen können roh im Salat verwendet werden oder aus den jungen Stengeln bereitet man eine Art Spargelgemüse zu.

Verwendung findet das Weidenröschen aber auch als Blütenöl oder Blütenessenz. Es bringt aber nicht wie die Nachtkerze Licht ins Dunkle, erhellt die Schatten, sondern weist mit seinem Licht, seinem Feuer eher den Weg. Es ist auch hier eine ausgesprochene Pionierpflanze: Festigt das Licht, breitet es aus und hilft sich zu verankern und Standfest zu sein wie ein Leuchtturm. Die Pflanze gibt somit auch Mut und Kraft für ungewöhnliche, neue Wege, manchmal auch steinige und schwere Wege. Sie unterstützt dabei die Steine zu umrunden oder aus dem Weg zu räumen.

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