Rückzug in die Natur


In früheren Zeiten, als die Menschen noch wesentlich enger mit der Natur verflochten waren, mit dem Jahreskreislauf oder Jahresrad, wie sie es nannten, war der Winter eine Zeit der Ruhe, des Rückzuges.

Die Ernte war eingefahren, das Vieh im Stall und die Menschen zogen sich in das innere der Häuser zurück. Es wurden nur noch die notwendigsten Arbeiten erledigt: Holz geholt, das Vieh versorgt. Ansonsten saß man am warmen Feuer, besserte Arbeitsgeräte aus, spann und webte und erzählte sich dabei Geschichten: Genoß die Ruhe nach dem körperlich anstrengenden Sommer und tankte Kraft für den kommenden Frühling.

Auch die Natur zieht sich in dieser Zeit zurück, die Bäume haben ihre Blätter abgeworfen, oberirdische Pflanzenteile sind vertrocknet und erfroren. Die Kraft, die Essenz, der Saft der Pflanzen zieht sich in den Stamm, in die Wurzeln zurück. Auch wir Menschen fahren unseren Stoffwechsel in der dunklen und kalten Jahreszeit herunter. Wir sind wie eh und je an die Jahreszeiten, den Rhythmus der Natur angepasst, ob uns das nun bewusst ist oder nicht. Das spielt keine Rolle, es ist einfach so. Unser Körper verarbeitet die Signale von Temperatur und Licht automatisch, genauso wie die Vögel es tun, wenn sie zu Frühlingsbeginn wieder lebendiger werden, anfangen zu zwitschern. Und die Erfahrungen haben gezeigt, dass ein gegen den Rhythmus leben, wie wir das heute so häufig tun oder auch tun müssen, unendlich viel Kraft und Energie kostet.

In diesem, so besonderen Jahr aber haben wir die Chance – durch die äußeren Umstände, das was in der Welt gerade los ist – uns wieder mehr an den Rhythmus der Natur, an die Verbindung zur Erde, zur Mutter Erde, wie unsere Vorfahren sie nannten, anzupassen. Auch wir sind jetzt dazu aufgefordert uns wieder mehr in unsere Häuser zurückzuziehen, Ruhe zu geben und uns mit unserer Essenz zu beschäftigen, mit dem was wirklich wichtig ist. Nicht immer gelingt das, weil doch noch so viel auf uns einstürmt, durch die Medien, durch unsere Arbeit oder durch unsere Familien.

Wo wir allerdings meistens Ruhe und Kraft finden, uns erden können, ist der Kontakt zur Natur. Und meiner Meinung nach, geht es bei diesem ganzen Theater genau darum, dass wir wieder zu unseren Wurzeln finden, die Verbindung zur Natur, zu Mutter Erde fühlen und spüren können. Und dann werden wir erkennen, dass wir so nicht weitermachen konnten, dass wir kräftig an dem Ast sägen auf dem wir sitzen. Das wir andere Wege, andere Lösungen brauchen, gerade im Umgang mit der Erde, mit uns selbst. Und genau das ist, in der Regel die Essenz von solchen Krisen, so schlimmm sie auch sein mögen, die Chance auf Veränderung zu erkennen und zu nutzen. Denn auf dem Weg auf dem wir waren, ging es geradewegs auf den Abgrund zu. Vielleicht hat uns dieser Virus davor befahr abzustürzen, bringt uns wieder zur Besinnung, indem wir die Essenz erkennen, dass was wirklich wichtig ist im Leben! Wie wir uns ein glückliches, erfülltes und friedliches Leben eigentlich wünschen. Denn diese Sehnsucht, da bin ich mir ziemlich sicher, trägt jeder Mensch im Herzen, wenn es auch manchmal nicht danach aussehen mag.

Gerade jetzt im Winter, wenn wir bei Wind und Wetter, Schnee und Eis, auch dann wenn die Sonne nicht scheint, einen Spaziergang durch den verschneiten Wald machen, haben wir die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen und diese Kraft, diese Verbindung zu spüren. In der Natur ist alles noch in Ordnung, mehr denn je. Hier kommen wir zu unserer Essenz. Hier wirken Kräfte, die uns unterstützen, ja sogar heilen können. Es braucht nur etwas Überwindung, vielleicht auch Mut, den ersten Schritt zu gehen, denn die Auseinandersetzung mit sich selbst – worum es eigentlich geht – birgt nicht immer nur schöne Seiten.

Wahrscheinlich würde auch ich mich nicht immer überwinden den warmen Platz am Ofen zu verlassen, wenn mein Hund nicht wäre, nicht schon sehnsuchtsvoll da stände und darauf warten würde, dass wir endlich vor die Türe gehen. Der erste Schritt, wie bei so vielen Dingen kostet Überwindung, dann aber erkennt man wie schön diese Welt da draußen eigentlich ist, wie schön die Lichtstimmungen gerade bei Wind und Wolken sind. Auch Schneegestöber hat seinen Reiz. Eigentlich gibt es kein schlechtes Wetter, nur oft schlechte Kleidung. Und wenn wir einmal draußen sind, fragen wir uns oft, warum wir das nicht öfter machen!

Allerdings muss man diese Spaziergänge alleine machen, höchstens mit dem getreuen Vierbeiner, denn sonst erfährt man diese besondere Welt in der Natur nur sehr selten. Man ist durch Gespräche, den anderen abgelenkt, sodass das, was da am Wegesrand beachtet werden will, nicht in den Blickwinkel gerät, wir achtlos daran vorbeigehen.

Es sind besondere Augenblicke jetzt im Winter, wenn die Sonne plötzlich hinter den Wolken hervorbricht, einzelne Baumgruppen, Landstriche in goldenes Licht taucht. Augenblicke der Klarheit, aber auch Momente der Erkenntnis, wenn der überflüssige Balast einmal draußen bleibt, wenn man sich erlaubt in diese Welt der Natur einzutauchen. Ich kann nur jedem empfehlen es einmal selbst zu versuchen: Besonders die blaue Stunde wenn das Licht wechselt, am frühen Morgen oder am Abend zur Dämmerung oder Sonnenuntergang ist besonders reizvoll. Dann wenn kaum jemand unterwegs ist, uns diese Welt und vor allen Dingen ihr Zauber, ganz alleine gehört.

Denn es liegt in der Natur der Natur alles wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das ist ihre Aufgabe, so funktioniert sie, so kann sie sich selber heilen und so ist sie auch in der Lage uns zu heilen, uns wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Unsere Aufgabe ist es nur uns darauf einlassen, ihr zuzuhören und ganz bewusst in die Natur einzutauchen. Dazu benötigt es in der Regel Zeit, das geht nicht von heute auf morgen, gelingt nicht jeden Tag gleich gut. Aber es ist auch noch kein Meister vom Himmel gefallen! Auch wenn wir das manchmal gerne hätten. Geduld ist hier gefragt, doch die, finde ich, lässt sich gut aufbringen angesichts der Schönheiten, die uns hier draußen begegnen.

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